Dr. Reinhard Stumpf:Was ist Militärgeschichte ?
In der Zeit nach 1945 hat sich in Deutschland der Begriff ‚Militärgeschichte‘ – dem internationalen Vorbild (military history, histoire militaire) folgend – als Bezeichnung für das Fachgebiet der Geschichtswissenschaft herausgebildet, das sich mit dem Militär in Krieg und Frieden befaßt. ‚Militärgeschichte‘ löste damit die älteren Bezeichnungen ‚Kriegsgeschichte‘, ‚Heeresgeschichte‘ und ‚Wehrgeschichte‘ ab.
Die Begriffe ‚Kriegsgeschichte‘ (Geschichte des Krieges) und ‚Heeresgeschichte‘ (Geschichte der Heeresorganisation) sind ganz im Begriff ‚Militärgeschichte‘ aufgegangen, der Begriff ‚Luftwaffengeschichte‘ hat sich kaum durchgesetzt, während die ‚Marinegeschichte‘ aufgrund des starken historischen Bewußtseins der Marine als Fach innerhalb der Militärgeschichte weiterlebt.
Der Begriff ‚Wehrgeschichte‘ diente noch lange als Bezeichnung für den Militärgeschichts-unterricht an den Schulen der Bundeswehr, im Museums-, Archiv- und Bibliothekswesen ist er noch weithin verbreitet.
Nach 1945 stand in Deutschland wie in den anderen ehemals kriegführenden Staaten zunächst die Erforschung des Zweiten Weltkrieges im Vordergrund des (damals noch:) ‚kriegsgeschichtlichen‘ Interesses. Ehemalige Generale und Admirale veröffentlichten ihre Kriegserinnerungen, ehemalige Offiziere und Journalisten verfaßten neben Divisionsgeschichten auch erste Gesamt-darstellungen des Krieges oder einzelner Feldzüge (v.Tippelskirch, Ruge, Görlitz u.a.).
Dann widmeten sich auch jüngere und bald einflußreiche Historiker wie Jacobsen und Hillgruber der kriegs- und diplomatiehistorischen Forschung über den Zweiten Weltkrieg, und dieser Krieg bestimmte auch die ersten Publikationen des 1957/58 gegründeten ‚Militärgeschichtlichen Forschungsamtes‘ der Bundeswehr ( MGFA), durch das in der Folgezeit die Militärgeschichte in der Bundesrepublik begrifflich und inhaltlich geprägt wurde.
Von ihren Vorgängern unterschied sich die neue ‚Militärgeschichte‘ vor allem durch eine stärkere Hinwendung zur Politischen Geschichte und zur Sozialgeschichte (Untersuchung des Verhältnisses von Militär und Politik, Militär und Gesellschaft); dies bedingte ein nicht unumstrittenes Zurückdrängen militärischer Themen im engeren und traditionellen Sinn.
Da bei der Erforschung und Darstellung von Kriegen die Operationen der Streitkräfte immer noch eine zentrale Bedeutung haben, hat sich als Ersatzbegriff für ‚Kriegsgeschichte‘ im Rahmen der modernen Militärgeschichte inzwischen der Begriff ‚Operationsgeschichte‘ eingebürgert.
1979-2008 erschien das 13bändige Reihenwerk des MGFA „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“, das nicht nur die Operationsgeschichte aus deutscher Sicht ausführlich darstellt, sondern auch in sogenannten „Querschnittsbänden“ die „Gesellschaft im Krieg“ zu erfassen sucht, einschließlich der Probleme des Widerstandes gegen Hitler und der Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen des Regimes. 1979-81 hatte das Amt ein sechsbändiges „Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939“ herausgegeben, das die Geschichte der deutschen Streitkräfte unter Absehung von der Operationsgeschichte behandelt.
Trotz thematischer und zahlenmäßiger Ausdehnung ist die wissenschaftliche Militärgeschichte bis heute ein Spezialfach geblieben, das nur wenig an Hochschulen verankert ist: Es gibt nur einen einzigen militärgeschichtlichen Universitätslehrstuhl in Potsdam, auch an den beiden Bundeswehruniversitäten bestehen nur allgemeinhistorische Lehrstühle, in deren Rahmen vereinzelt Militärgeschichte betrieben werden kann. Einige Arbeitskreise sorgen für Kontakte unter den militärhistorisch Interessierten.
Der „Militärhistorische Arbeitskreis Bonn-Rheinbach“ möchte in großer thematischer Offenheit militärische Geschichte erforschen und beschreiben. Dazu bietet er interessierten Mitgliedern Vorträge und Exkursionen mit militärgeschichtlichen Themen von der Antike bis zur Gegenwart an.