Buchbesprechung:
14 – Der große Krieg (Oliver Janz)

F.A.Z. / F.A.S. vom DIENSTAG, 03. JUNI 2014 – POLITIK

Berlins grobe Fehleinschätzung

Das Kriegsgeschehen von 1914 bis 1918 aus globaler Perspektive

Das Interesse der Öffentlichkeit an Darstellungen von Vorgeschichte, Verlauf und Folgen des Ersten Weltkrieges ist für den Historiker erfreulich. Darin spiegelt sich das Bedürfnis vieler Menschen nach historischer Orientierung in einer immer komplexeren Welt. Zu diesen neuesten Werken zu diesem Themenkomplex gehört das Buch des Berliner Historikers Oliver Janz, der unter dem Titel „14– Der große Krieg“ das Kriegsgeschehen aus globaler Perspektive beschreibt.


Mit viel Gespür für Nuancen betont Janz, dass der Krieg keineswegs das zwangsläufige Ergebnis von Nationalismus, Imperialismus und Sozialdarwinismus, Kriegserwartungen und Kriegsbereitschaft oder der Blockbildung zwischen den großen Mächten gewesen sei. Auch Planungen für einen Krieg seien nicht identisch gewesen mit dem Willen, diesen auszulösen. Die Situation sei vielmehr auch 1914 offener gewesen, was aber nicht bedeute, die vorhandenen Konflikte zu relativieren.

Aus Sicht der Reichsleitung in Berlin habe die Ermordung des österreichischen Thronfolgers die unerwartete Chance geboten, die verfahrene internationale Situation zu ihren Gunsten zu ändern. Insofern trage sie die „Hauptschuld“ – ein eher unglücklicher Begriff – am Geschehen, „auch wenn man ihr nicht die gezielte Auslösung des Konflikts, sondern nur grobe Fehleinschätzungen und eine ganze Reihe von schweren Fehlern attestieren will“. Diese Lesart entspricht zwar nicht dem, was Christopher Clark in seinem aufsehenerregenden Buch über die „Schlafwandler“ suggeriert, die Mehrheit der Zunft dürfte ihr aber zustimmen.

Auf den übrigen dreihundert Seiten gibt Janz einen Überblick über den Krieg als globales Ereignis. Aufmarsch, Vormarsch und Stellungskrieg oder den Einfluss moderner Technik auf das Geschehen schildert er dabei gleichermaßen wie die furchtbaren Verluste: 373 369 deutsche, 327 000 französische und 89 964 englische Soldaten verloren allein in den ersten beiden Monaten im Westen ihr Leben, wurden verwundet oder gerieten in Gefangenschaft.

Doch so hoch die militärischen Verluste an der Westfront auch waren, an der „vergessenen Ostfront“, auf dem Balkan und im Nahen Osten, waren sie erheblich höher. Dort zeigten sich zugleich die Folgen des Konflikts für die Zivilbevölkerung, ein Zeichen der zunehmenden Entgrenzung des Krieges, in weitaus größerem Maße als im Westen.

Allerdings waren auch in Belgien mehrere tausend Zivilisten Opfer deutscher Willkür geworden. Das Wüten von k. u. k. Standgerichten in Galizien, die Strategie der „verbrannten Erde“, in deren Folge die geschlagenen russischen Armeen drei Millionen Zivilisten zur Flucht nach Osten zwangen, die Rache der bulgarischen Armee an den Serben für die Niederlage im Balkan-Krieg sowie der systematische Mord der türkischen Führung an Hunderttausenden Armeniern 1915 stellten freilich alles Bisherige in den Schatten.

Dabei entstand bei vielen deutschen Soldaten ein „Bild“ vom Osten, von der eigenen Überlegenheit über die als minderwertig empfundenen Slawen, das eine Generation später mörderische Folgen haben sollte.

Aber auch in den Kolonien tobte ein erbarmungsloser, vielfach vergessener Krieg. Die Verluste an Soldaten waren dabei eher gering, die der einheimischen Träger ging hingegen in die Hunderttausende. Nicht vergessen werden sollten zudem jene, die sich in den französischen Kolonien der Rekrutierung für das „Mutterland“ widersetzten und zu Tausenden als Rebellen getötet wurden. Der Befund, der Krieg habe das Prestige der Kolonialmächte in ihren Kolonien vermutlich eher gestärkt als beschädigt, erstaunt insofern. Dieses Europa kämpfte aber nicht nur mit Soldaten auf dem Schlachtfeld.

Künstler, Professoren und Journalisten fochten zugleich mit ihren „Waffen“ einen bis dahin unbekannten Kulturkrieg aus. Mit fatalen Folgen für die politischen Kulturen Europas wurde der Gegner als Bestie dämonisiert, das eigene Volk zum alleinigen Träger zukunftsfähiger Ideen stilisiert.

Wie schwer der Weg zur Versöhnung dann – jenseits aller Bestimmungen der Pariser Vorortverträge – sein würde, machen auch die unterschiedlichen Formen des Gedenkens deutlich: In Frankreich sprach man von „Denkmälern für die Toten“, in Deutschland dagegen von Krieger-, bald von „Heldendenkmälern“. Auch der Gefallenenkult sollte deutlich machen, dass der „Krieg nicht wirklich beendet und seinen Toten ein Vermächtnis“ zugeschrieben wurde, das sich nur durch weitere Kriege einlösen ließ.

Die besondere Leistung dieses Buches liegt nicht in der Präsentation neuer Quellen. Es handelt sich vielmehr um eine gelungene Synthese bisheriger Forschungen, das Setzen neuer Akzente vor allem im Hinblick auf das Geschehen im Osten oder auch außerhalb Europas. Der Alltag des Krieges, sei es an der Front, sei es in der Heimat, wird ausführlicher als in vielen traditionellen Darstellungen behandelt.

Auch auf die Frage, warum die Menschen so lange durchgehalten haben, gibt er nachdenkenswerte Antworten: Patriotisches Pflichtbewusstsein, den Willen, Heimat und Familie zu verteidigen, oder schlichtweg Kameradschaft betrachtet Janz zu Recht als maßgeblich.

Angesichts dieses überzeugenden Überblicks ist es bedauerlich, dass Janz neuere Werke, sei es zum „Schlieffenplan“, sei es zur französischen Politik 1913/14, nicht berücksichtigt hat. Manche Frage, die er für immer noch offen hält, hätte er dann beantworten, manchen ärgerlichen Fehler vermeiden können. Gleichwohl, die Gesamtleistung bleibt beeindruckend.

Michael Epkenhans

Oliver Janz: 14 – Der große Krieg.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2013.
415 S., 24,99 €

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